Lernziele
- Sie verstehen, warum Dijkstra typischerweise nur innerhalb eines Netzwerks eines Autonomen Systems (AS) funktioniert.
- Sie wissen, dass das globale Internet ebenso von Politik und Wirtschaft zusammengehalten wird wie von Algorithmen.
In der letzten Lektion haben wir gesehen, wie Router mit Dijkstra den kürzesten Weg finden. Aber da gibt es ein Problem: Dijkstra setzt voraus, dass alle Router ihre Informationen offen teilen. Das funktioniert innerhalb einer Organisation - aber was, wenn ein Paket von der Swisscom zu Google muss?
Autonome Systeme
Das Internet ist kein einzelnes Netzwerk, sondern ein Netzwerk aus tausenden von Netzwerken. Jedes dieser Netzwerke wird als Autonomes System (AS) bezeichnet und hat eine eindeutige Nummer (ASN).
Ein Autonomes System ist typischerweise:
- Ein Internet Service Provider (ISP) wie Swisscom, Sunrise oder Init7
- Ein grosses Unternehmen wie Google, Microsoft oder die SBB
- Eine Universität wie die ETH oder Universität Zürich
Jedes AS verwaltet sein eigenes internes Routing und entscheidet selbst, wie es mit anderen AS verbunden sein will.
Beispiele für Autonome Systeme in der Schweiz
ASN Organisation AS3303 Swisscom AS6730 Sunrise AS13030 Init7 AS559 SWITCH (Schweizer Hochschulen) AS15169
Zwei Arten von Routing-Protokollen
Weil das Internet aus unabhängigen Netzwerken besteht, braucht es zwei verschiedene Arten von Routing-Protokollen:
Interior Gateway Protocols (IGP) - Innerhalb eines AS
OSPF (Open Shortest Path First) ist das bekannteste IGP und verwendet tatsächlich den Dijkstra-Algorithmus. Es funktioniert, weil:
- Alle Router gehören zur gleichen Organisation
- Sie können offen alle Informationen teilen
- Die Netzwerktopologie ist überschaubar (hunderte bis tausende Router)
Die Router tauschen sogenannte “Link State Advertisements” aus - jeder Router teilt mit, welche Nachbarn er hat und was die Verbindungen kosten. So kann jeder Router eine vollständige Karte des Netzwerks aufbauen und Dijkstra lokal ausführen.
Exterior Gateway Protocols (EGP) - Zwischen autonomen Systemen
Für die Verbindung zwischen autonomen Systemen wird BGP (Border Gateway Protocol) verwendet. BGP ist fundamental anders als OSPF:
- Kein Dijkstra: BGP berechnet nicht den “kürzesten” Weg
- Policy-basiert: Entscheidungen basieren auf Geschäftsbeziehungen und Policies
- Pfad-Vektor: Router tauschen aus, über welche AS ein Ziel erreichbar ist
Warum kein Dijkstra? Weil verschiedene Organisationen nicht alle Informationen teilen wollen. Ein ISP verrät seinen Konkurrenten nicht, wie sein internes Netzwerk aufgebaut ist. Ausserdem spielen wirtschaftliche Faktoren eine grosse Rolle: Wer bezahlt wen für die Weiterleitung von Daten?
┌─────────────────────────────────────────────────────────────┐
│ │
│ ┌─────────┐ BGP ┌─────────┐ │
│ │ AS 3303 │◄────────────────────────►│ AS 6730 │ │
│ │Swisscom │ │ Sunrise │ │
│ └─────────┘ └─────────┘ │
│ │ │ │
│ │ OSPF OSPF │ │
│ │ (Dijkstra) (Dijkstra)│ │
│ ▼ ▼ │
│ ┌─────────┐ ┌─────────┐ │
│ │ Router │ │ Router │ │
│ │ intern │ │ intern │ │
│ └─────────┘ └─────────┘ │
│ │
└─────────────────────────────────────────────────────────────┘Die Tier-Hierarchie des Internets
Nicht alle autonomen Systeme sind gleich. Das Internet hat eine hierarchische Struktur:
Tier 1 - Die Spitze der Pyramide
Tier-1-Provider sind die grossen Backbone-Netzwerke wie Lumen (ehemals Level 3), NTT, Cogent oder Telia. Sie haben eine besondere Eigenschaft: Sie können das gesamte Internet erreichen, ohne jemandem Geld für Transit zu bezahlen.
Das erreichen sie durch Settlement-Free Peering: Die grossen Provider verbinden sich untereinander kostenlos, weil beide Seiten gleichermassen profitieren.
Tier 2 - Regionale Provider
Tier-2-Provider sind regionale Netzwerke, die:
- Mit einigen Netzwerken direkt peeren (kostenlos)
- Aber für den Rest des Internets Transit kaufen müssen von Tier-1-Providern
Viele Schweizer ISPs wie Swisscom oder Sunrise fallen in diese Kategorie.
Tier 3 - Lokale Anbieter
Tier-3-Provider sind kleine, lokale ISPs, die fast ausschliesslich Transit kaufen. Sie verbinden Endkunden mit dem Internet, haben aber keine eigene weitreichende Infrastruktur.
┌─────────────────┐
│ Tier 1 │
│ (Lumen, NTT, │
│ Cogent...) │
└────────┬────────┘
│
┌──────────────┼──────────────┐
│ │ │
▼ ▼ ▼
┌──────────┐ ┌──────────┐ ┌──────────┐
│ Tier 2 │ │ Tier 2 │ │ Tier 2 │
│(Swisscom)│ │(Sunrise) │ │ (Init7) │
└────┬─────┘ └────┬─────┘ └────┬─────┘
│ │ │
▼ ▼ ▼
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│ Tier 3 │ │ Tier 3 │ │ Endkunde │
│ (lokale │ │ (lokale │ │ │
│ ISPs) │ │ ISPs) │ │ │
└──────────┘ └──────────┘ └──────────┘Internet Exchange Points - Wo Netzwerke sich treffen
Wie verbinden sich all diese Netzwerke physisch? An Internet Exchange Points (IXPs). Das sind Rechenzentren, in denen viele Netzwerke ihre Router in den gleichen Raum stellen und sich direkt verbinden können.
SwissIX - Der Schweizer Internet-Knotenpunkt
In der Schweiz ist SwissIX in Zürich der wichtigste Internet Exchange Point. Hier treffen sich über 200 Netzwerke und tauschen direkt Daten aus - ohne den Umweg über internationale Backbone-Provider.
Vorteile eines lokalen IXP:
- Geringere Latenz: Schweizer Daten müssen nicht über Frankfurt oder Amsterdam
- Günstigere Kosten: Direktes Peering statt teurer Transit
- Mehr Kontrolle: Daten bleiben im Land
Wenn Sie also eine Webseite bei einem Schweizer Hoster aufrufen und Ihren Internetanschluss bei einem anderen Schweizer Provider haben, gehen die Daten wahrscheinlich über SwissIX - ein kurzer Weg innerhalb von Zürich statt quer durch Europa.
Zusammenfassung
| Aspekt | Innerhalb eines AS | Zwischen AS |
|---|---|---|
| Protokoll | OSPF, IS-IS (IGP) | BGP (EGP) |
| Algorithmus | Dijkstra | Policy-basiert |
| Optimiert für | Kürzester Weg | Geschäftsbeziehungen |
| Informationsaustausch | Vollständig offen | Nur nötige Infos |
Die Pointe
Dijkstra funktioniert wunderbar innerhalb von Netzwerken, aber das globale Internet wird ebenso von Politik und Wirtschaft zusammengehalten wie von Algorithmen.
Übungsaufgaben
Aufgabe 1: AS-Nummern nachschlagen
Finden Sie mit bgp.he.net die AS-Nummern von: a) Ihrer Schule oder Universität b) Einem bekannten Schweizer Unternehmen c) Netflix oder Spotify
Aufgabe 2: Routing-Pfade analysieren
Verwenden Sie den Befehl traceroute (Linux/Mac) oder tracert (Windows) um den Weg zu verschiedenen Servern zu verfolgen:
traceroute google.ch
traceroute srf.ch
traceroute netflix.comWelche Autonomen Systeme werden durchquert? (Tipp: Die IP-Adressen können Sie auf bgp.he.net nachschlagen)
Aufgabe 3: Diskussion
Warum wäre es problematisch, wenn das gesamte Internet mit einem einzigen Dijkstra-Algorithmus geroutet würde? Denken Sie an:
- Skalierbarkeit (Millionen von Routern)
- Privatsphäre und Geschäftsgeheimnisse
- Unterschiedliche Interessen der Betreiber